In dieser Blogserie 1x1 der Visualisierung widmen wir uns der Typologie von Tabellen und Diagrammen. Diagramme stellen Datenreihen visuell dar und helfen uns, die Inhalte und Zusammenhänge aus den Daten intuitiv und rasch aufzunehmen. Inwieweit dieses Ideal erreicht wird, bestimmt den Nutzen von Diagrammen in Dashboards, Berichten und Adhoc Analysen und hängt wesentlich von der Wahl der für den Anwendungsfall passenden Datenvisualisierung ab. Im schlimmsten Fall können falsch gewählte Visualisierungen den Berichtsempfänger auch in die Irre führen und den gegenteiligen Effekt erzielen.
Der folgende Beitrag liefert jedenfalls einen starken Impuls und versucht eine Strukturierung dieses sehr umfangreichen Themas, und zwar aus den Perspektiven Excel / Power BI (technisch) und Hichert / IBCS (konzeptionell).
1. Welche Diagrammtypen gibt es?
Gleich vorweg: eine abschließende Auflistung aller Diagrammtypen ist uns nicht bekannt, es erscheint uns auch unwahrscheinlich, daß es eine solche geben kann.
Zum Einstieg liefert der Diagramm Einfügen Dialog von Excel 2016 eine gute erste Orientierung, welche Diagrammtypen im am weitesten verbreiteten Visualisierungstool aktuell zur Verfügung stehen (in Excel 2016 sind ja einige neue Diagrammtypen hinzugekommen, siehe auch oranger Markierungsrahmen):
Das Spektrum der Visualisierungen in Power BI hat zwar Gemeinsamkeiten mit jenen in Excel, bietet aber zusätzlich die wichtigen Geo-Visualisierungen und über die sogenannte Power BI Custom Visuals Gallery zahlreiche Charttypen, die in Excel bisher überhaupt nicht verfügbar sind:
Sehr interessante Visualisierungsideen liefert das Open Source Projekt D3.js mit der zugehörigen Gallery auf Github (diese können übrigens auch als Basis für Power BI Custom Visuals verwendet werden):
Das Excel Add-In Power Map ist auf Geo-Visualisierungen, also der Darstellung von Diagrammen auf Landkarten, und auf sogenannte Hintergrund-Visualisierungen, also der Darstellung von Diagrammen auf Grundrissen, Netzkarten und vielem mehr, spezialisiert:
2. Erste Systematisierung der Diagrammtypen
Eine erste Systematik kann nach dem Vorhandensein von grundlegenden Merkmalen eines Diagramms abgeleitet werden:
- Cartesian Charts ... eckige Diagramme mit 2 Achsen (unabhängig davon ob die Achsen angezeigt werden oder nicht)
- Radial Charts ... runde Diagramme ohne Achse, aber mit einem fixen Mittelpunkt
- Spatial Charts ... räumliche Diagramme, als Achsen werden Längen-/Breitengrade (Geo-Visualisierung) oder Pixelpositionen (Hintergrund-Visualisierung) verwendet, de Darstellung erfolgt in 2D oder 3D
- Tree Charts ... Kennzahlen- und Entscheidungsbäume (übrigens: das weitverbreitete "Treemap" ist in dieser Systematik kein Tree Chart sondern ein Cartesian Chart)
- Flow & Network Charts ... Fluß- und Netzwerkdiagramme zur Darstellung von Zusammenhängen, es gibt keinen fixen Mittelpunkt und keine absoluten Bezugspunkte, die Darstellung kann rund oder eckig sein
- und sicher noch weitere ...
Eine exzellente Systematik liefert der Poster The Graphic Continuum aus dem Jahr 2014 der beiden Autoren Jon Schwabish und Severino Ribecca, die gängigsten Diagramme werden nach deren Einsatzzweck in 5 Hauptgruppen gegliedert und damit bereits eine erste Einsatzempfehlung geliefert (der Poster kann übrigens in einer etwas abgewandelten Form über Mimeo bestellt werden):
- Time ... Visualisierung von Daten im Zeitablauf
- Relationships ... Visualisierung von Beziehungen innerhalb der Daten
- Comparisons ... Visualisierung von Vergleichsdaten und Abweichungen
- Part-to-Whole ... Visualisierung der Zusammensetzung nach Kategorien
- Geo-Spatial ... Visualisierung auf Landkarten oder allgemeiner als Hintergrund-Visualisierung
[Update vom 20.02.2017] Eine sehr intuitiv nutzbare Sammlung der gängigsten Chart-Typen und -Kategorisierungen liefert die Seite www.datavizcatalogue.com, hier können mit wenigen Klicks detaillierte Beschreibungen und "Anatomies" nachgelesen werden:
Scharfsinnig wie immer, wendet Prof. Hichert in seinem Zwölf-mal-Fünf-Diagrammtableau aus dem Jahr 2004 (Quellen hier und hier) eine intuitive Systematik an:
- Es werden 5 Diagrammgrundtypen unterschieden: 1) Säulen, 2) Balken, 3) Punkte und Kreise, 4) waagerechte Linien, Kurven und Flächen und 5) senkrechte Linien, Kurven und Flächen
- Es werden 12 typische Formen betriebswirtschaftlicher Analyse unterschieden: 1) Zeitreihe, 2) Struktur, 3) Normierung, 4) Rangfolge, 5) Durchschnitt, 6) Gruppierung, 7) Korrelation, 8) Häufigkeit, 9) Überleitung, 10) Spannen, 11) Dritte Dimension und 12) Kombination
Auch wenn diese frühe Systematik seither massiv weiterentwickelt worden ist (nämlich zum IBCS Framework), dann ist sie dennoch weiterhin zur Strukturierung dieses Themas nützlich. In diesem Kontext ist auch das Excel Add-In Chart-me unserer Partnerfirma HI-CHART aus Berlin zu sehen, hier werden sehr strukturiert die wichtigsten (finanzwirtschaftlichen) Charts in den folgenden 3 Gruppen angeboten:
- Horizontal ... Visualisierung von Zeitreihen
- Vertikal ... Visualisierung von Strukturinformationen
- XY ... Visualisierung von Korrelationen
Ebenfalls im Kontext von Prof. Hichert und IBCS ist das Excel Add-In Zebra BI zu sehen, hier werden die Visualisierungen auf Basis von 5 Analysezwecken strukturiert angeboten:
- Struktur / Structure ... Visualisierung von Strukturinformationen
- Zeit / Time ... Visualisierung von Zeitreihen
- Teil-Ganzes / Part-to-Whole ... Visualisierung von Kategorien (sowohl nach Zeit als auch Struktur)
- Abweichung / Variance ... Visualisierung von Abweichungen (sowohl nach Zeit als auch Struktur)
- Beitrag / Contribution ... Visualisierung von Wertbeiträgen als Wasserfall (sowohl nach Zeit als auch Struktur)
3. Welches Chart soll für welchen Zweck verwendet werden?
Die Systematik von Dr. Andrew Abela aus dem Jahr 2006 bietet einen sehr intuitiven und recht umfassenden Weg zur Ableitung des am besten geeigneten Charttyps (weitere Quellen bei digital inspiration und bei Jen Underwood). Die Anleitung wird von der zentralen Frage "What would you like to show?" von innen nach außen gelesen, über die Entscheidungsfragen gelangt man in wenigen Schritten zu einem grundsätzlich passenden Charttyp:
[Update vom 23.03.2018] Dieser neuere Beitrag auf www.fusioncharts.com/blog/choose-right-chart-type-data baut offenbar auf dieser Quelle auf und wurde mit nützlichen Entscheidungshilfen angereichert.
Ein perfekt aufbereitetes und gleichzeitig sehr nützliches Tutorial gibt`s beim Add-In Anbieter Zebra BI unter dem Titel How to Choose the Right Business Chart (zusätzlich zur Infografik gibt`s auch ein ausführliches Whitepaper). Die Entscheidungsfindung erfolgt in 3 Schritten (wiederum basierend auf dem IBCS Framework):
- Orientation ... Will I display time-related or structure-related data?
- Task ... What message do I want to deliver?
- Shape ... What type of data am I trying to visualize?
Nützlich auch diese Quelle aus dem Jahr 2012 zum Thema Cartesian vs. Radial Charts (und zur häufigen Unsinnigkeit von radialen Charts):
Ebenfalls sehr nützliche Handlungsempfehlungen sind aus dem Whitepaper Welches Diagramm ist das Richtige für Sie? des BI Anbieters Tableau herauszulesen (oder in der kompakteren englischen Vorlage Which chart or graph is right for foru you?, dort allerdings ohne dem Gantt-Diagramm) :
Der Dashboard Anbieter Geckoboard hat in einer 2-teiligen Blogserie ebenfalls Einsatzempfehlungen zu insgesamt 6 Charttypen zusammengestellt:
Recht nützlich ist auch der Foliensatz Data Visualizations Best Practices 2013 von Jen Underwood:
4. Fazit und Ausblick
Studiert man die hier gezeigten Quellen etwas näher und vergleicht die Konzepte miteinander, so stellt man rasch fest, daß sich die Konzepte im Detail stellenweise auch widersprechen. Die Auswahl des richtigen Diagrammtyps für die jeweilige Aufgabenstellung ist also sicher keine exakte Wissenschaft, auch sind der Kreativität keine Grenzen gesetzt und neue Technologien schaffen ebenfalls neue Visualisierungen.
Weiterführende Literatur zum Thema gibt es unzählige, wir möchten hier das Basiswerk Show Me the Numbers von Stephen Few empfehlen. In dem Werk wird das Thema Visualisierung sowohl hinsichtlich Tabellen als auch hinsichtlich von Diagrammen sehr fundiert beleuchtet, auch wenn über manche Wertungen - bspw. No-Go Visualisierungen wie Kreis-, Donut-, Radar-, Trichterdiagramme usw. - auch vorzüglich diskutiert werden kann.
Vieles davon ist auch in das IBCS Framework nach Prof. Hichert eingeflossen, dieses Notationskonzept zur einheitlichen Gestaltung sowie zur konkreten Anwendungsdefinition von Visualisierungen bildet für unsere Praxis die wesentliche Basis.
Darüber hinaus könnten auch die folgende Themen interessant sein:
- Wissenschaftliche Erkenntnisse aus Eye-Tracking Analysen wie dieser KPMG-Studie in Zusammenarbeit mit FH-OÖ ...
- Excel-basierte Templates (Hichert Excel Beispiele, Chandoo Templates) und Tools (Zebra BI, chart-me, Sparkshapes)
- Fortgeschrittene Diagramme wie Verbunddiagramme (Bullet Graph, Multiples, Haupt- und Unterdiagramme, usw.) und Hintergrund-Visualisierungen (Diagramme bspw. auf Gebäude-Grundrissen, usw.)
- Weitere Tools neben Excel und Power BI für die Datenvisualierung (hier ein Artikel zum Thema ...)